Der Zauberer
Am Bergeshang stand der Zauberer und sah in den graudunstigen Himmel. Träge wie eine Riesenschlange kroch schwarzes Gewölk darüber hin und machte sich daran, die Sonne zu erdrosseln. Fahl glomm ein Wetterloch von Westen her. Dort lauerte der Sturm und sammelte seine Kräfte.
Der Zauberer wartete gespannt. Unmerklich schlich die Zeit, während der Tag immer mehr ins Düstere versank. Mit einemmal sprang der Sturm wie ein Untier aus seiner Höhle und verbiß sich in die Riesenschlange. Mit Fetzen brauner Haut und schwarzen Fleisches fuhr er tobend über den Himmel. Der Zauberer lachte. Er dehnte die Arme und streckte die Krallenfinger. 'Wie es doch da oben genau so zugeht wie in uns', sagte er zu sich selbst. 'Erwürgen, zerfleischen! - Oder sehen nur wir es so, weil wir es so sehen wollen? Gleichviel, ich muß wieder etwas zu tun bekommen!'
Am Bergeshang stand der Zauberer und sah in den graudunstigen Himmel. Träge wie eine Riesenschlange kroch schwarzes Gewölk darüber hin und machte sich daran, die Sonne zu erdrosseln. Fahl glomm ein Wetterloch von Westen her. Dort lauerte der Sturm und sammelte seine Kräfte.
Der Zauberer wartete gespannt. Unmerklich schlich die Zeit, während der Tag immer mehr ins Düstere versank. Mit einemmal sprang der Sturm wie ein Untier aus seiner Höhle und verbiß sich in die Riesenschlange. Mit Fetzen brauner Haut und schwarzen Fleisches fuhr er tobend über den Himmel. Der Zauberer lachte. Er dehnte die Arme und streckte die Krallenfinger. 'Wie es doch da oben genau so zugeht wie in uns', sagte er zu sich selbst. 'Erwürgen, zerfleischen! - Oder sehen nur wir es so, weil wir es so sehen wollen? Gleichviel, ich muß wieder etwas zu tun bekommen!'
Er sah hügelabwärts in das Städtchen hinab. An einem Haus der Hauptstraße sogen sich seine Blicke fest. Da kam es hinter ihm den Hang herunter, mit Hufschlag und fröhlichem Ruf. Der Zauberer fuhr herum. Schon war der Reiter an ihm vorbei. Mit wehenden Haaren flog er auf seinem Roß dahin und setzte im Sprung über Baumstümpfe und Gräben.
Der Zauberer drohte hinter ihm her. 'Treibt es dich wieder zu deiner Stolzen, Schönen, Hochmütigen?' Er lachte. 'Ach du dummer Enno! Ein anderer sitzt schon wärmer im Nest als du und dem wird es auch nichts nützen. Ihr beide seid doch nur meine Vorreiter. Die schöne Eva Maria ist nicht für euch Tölpel gewachsen.' Er grinste. 'Macht ihnen nur heiß, den Weibern! Zur rechten Zeit bin ich da und schüttle den Baum, wenn er reif ist, der Apfel.'
Im Hause an der Hauptstraße lärmte trotz dem Unwetter ein fröhliches Fest. Der Ratsherr feierte den Geburtstag seiner einzigen Tochter mit einer Schar von Gästen. Die schöne Eva Maria stand am Fenster und sah lachend hinaus in den Sturm. Hinter ihr drängte sich eine Rotte junger Männer, unter ihnen einer, der sich herausfordernd nahe zu ihr neigte. Enno, der während seines Rittes zur Stadt noch so fröhlich gewesen war, stand abseits. Verstimmt preßte er die Lippen aufeinander.
Der Große, Dunkle neben Eva Maria schob sich noch näher an sie heran und sprach leise auf sie ein. Seine Worte zitterten werbend und heiß, seine Blicke wanden sich wie Schlangen um ihren Leib, abschreckend und verzaubernd zugleich. Eva Maria errötete tief. 'Nein, Rupert, sei still', flüsterte sie verwirrt. Enno sah mit blitzenden Augen herüber und stampfte zornig auf. Er kam heran. 'Eva Maria!' stieß er heiser hervor. Sie warf hochmütig den Kopf zurück. 'Bin ich für dich allein da?' fragte sie spöttisch.
Enno wurde bleich. Er trat hart vor Rupert. Da klopfte es knöchern und hohl an die Fensterscheiben. Eva Maria erschrak. 'Was ist das?' fragte sie tonlos. 'Ein Ast', gab Rupert nachlässig zurück, 'der Sturm schüttelt die Bäume.'
'Zum Tanz, ihr Damen und Herren!' rief da eine Stimme, die wie von draußen kam. Lärmende Zustimmung antwortete ihr. Die Musik setzte ein, leichte, schwingende Melodien und Lachen erfüllten den Raum, ein sorgloser Taumel ergriff die Menge im Saal, es war keine Stimmung mehr zu ernsthaften Auseinandersetzungen.
Im Ahornbaum vor dem Fenster saß der Zauberer. Er hatte seit Stunden alles beobachtet und die Stimmung gelenkt. Nun grinste er geil. 'Die Zeit ist da für mich. Der Apfel ist reif.'
Wie ein scheußlicher Rabe mit gierig-listigen Augen schaukelte er auf seinem Ast und blinzelte vergnügt in den Saal, in dem die Menge ausgelassen durcheinander wogte. Wütend riß der Sturm an dem Ahornbaum und schüttelte seine Äste. Der Zauberer begann mit quäkender Stimme zu singen.
'Wie der Baum heute knarrt und stöhnt!' sagte Eva Maria erschaudernd zu Rupert. 'Unheimlich ist es, ganz anders als sonst.' Rupert lächelte siegessicher. 'Ja, der Sturm!' sagte er. 'Da stöhnt der Baum eben, wenn er von ihm gepackt wird.'
Spät in der Nacht ging das Fest zu Ende. Die Gäste verabschiedeten sich. Eva Maria hatte sich schon vorher in ihr Schlafgemach zurückgezogen und begann sich nun zu entkleiden. Eine haltlose Schlaffheit lähmte sie und dennoch hielt die quälende Erregung an, die sie den ganzen Abend verfolgt hatte. Da hörte sie leise Stimmen unter ihrem Fenster. 'Rupert, was tust du hier?' 'Das geht dich nichts an. Dasselbe könnte ich dich fragen.' 'Ich hörte jemanden hier herumschleichen, da kam ich zurück. Und ich habe den Richtigen erwischt!' 'Da lasse ich mir von niemand etwas dreinreden, schon gar nicht von dir, mein lieber Enno.' 'Ich rate dir im Guten, geh heim.' 'Nicht vor dir.' 'Dann komm. Wir gehen beide.' Schritte entfernten sich. Halb beruhigt, halb enttäuscht sank Eva Maria auf ihr Lager.
'Eva!' klang da eine Stimme auf dem Gang vor der Tür ihres Zimmers. Erschreckt erhob sie sich halb vom Lager. 'Was ist?' 'Sei ganz leise', raunte es wieder, 'ich bins, Rupert.' 'Geh doch, geh!' 'Eva, schönste Frau, hörst du, wie die Bäume stöhnen im Sturm? Sie stöhnen und wiegen sich in Lust und Qual. Bald, noch ehe der Morgen graut, wirst auch du stöhnend und zitternd in meinen Armen liegen. Wehrlos bist du vor mir, ein Opfer der Nacht und deiner eigenen Wünsche. Du zitterst ja schon vor mir, du weißt es ja selbst, daß deine Gegenwehr nur noch sinnlose Qual ist. Ergib dich, mach auf, laß mich herein!'
Betäubt, willenlos, wie gebannt von dem Begehren in ihr erhob sie sich, tastete nach dem Riegel am Einlaß und schob ihn zurück. Langsam, lautlos ging die Türe auf. Eva Maria zuckte zurück. Nichts als undurchdringliches Dunkel wie ein Abgrund schien da draußen zu lauern. Dann stand plötzlich ganz nahe vor ihr düsterer als der Abgrund eine Gestalt. In letzter Abwehr hob Eva Maria die Hände. 'Nicht, Rupert, nein!' Da preßte sich eine klebrige Hand auf ihren Mund. Ein Lichtstrahl von draußen her fiel flackernd auf das Gesicht des Eindringlings. Es war ihr unbekannt. Einem Geierkopf glich es, lüstern schoben sich die Lippen wie ein Schnabel vor, gierig, grausam glitzerten die Augen. Mit einem schnell erstickten Schrei brach Eva Maria zusammen.
Der Zauberer feixte. Er warf seinen Mantel über sie, hob sie auf und schlich sich mit seiner Beute hinaus, die Treppe hinab. Schon hörte er Lärm hinter sich. Er stieß die Haustür auf, gewann das Freie und strebte mit seiner Last keuchend vor Gier und vor Verfolgungsangst seiner Behausung zu, bergaufwärts. Der Morgen graute.
Die Knechte des Ratsherrn hatten in der Ferne eine fliehende Gestalt bemerkt, die eine Last zu tragen schien, und setzten ihr nach, gefolgt von vielen anderen, die auf den Lärm hin herbeigeeilt waren, unter ihnen auch Enno und Rupert. Der Sturm hatte sich gelegt. Nun strichen Nebelstreifen über die Hänge. Im Schutze einer Nebelwand erreichte der Zauberer ungesehen sein Haus. In atemloser Eile sprang er mit seiner Last hinab in den Keller, riß dort im hintersten Winkel eine Falltür auf, stieß Eva Maria in das lichtlose Loch hinab, warf die Falltür zu, zog eine Matte darüber und stürzte ein Faß mit Sand darauf. Dann verteilte er ihn über den Umkreis, trat ihn fest, so daß die Stelle ganz dem übrigen Boden glich, wälzte Gerümpel darüber und jagte in fieberhafter Hast die Treppe wieder hinauf. Schon schlugen die Verfolger gegen sein Haustor. Er stürzte in sein Schlafgemach, riß sich die Kleider herab und fuhr in sein Nachtgewand. Dann ging er schleppenden Schrittes, unwillig brummend wie eben erst aus dem Schlafe aufgescheucht zum Tor und öffnete. Blinzelnd und sich die Augen reibend betrachtete er seine Verfolger. 'Ist etwas geschehen?' fragte er.
Die Verfolger wurden unschlüssig. Dieser Mann schien wirklich von nichts zu wissen. 'Wir verfolgen einen Räuber', sagte einer, 'und in der Nähe dieses Hauses haben wir ihn zum letztenmal gesehen. Kann er hier unbemerkt eingestiegen sein?' 'Die Haustür war versperrt und verriegelt, wie ich sie gestern abend zugeschlossen hatte, und die Fenster des Erdgeschosses sind schwer vergittert. Da müßt ihr schon wo anders suchen.'
'Hier vergeuden wir nur die Zeit', sagte Rupert. 'Der Räuber ist sicher hinauf in den Wald, wo er hundert Verstecke finden kann, wenn wir ihm dazu Zeit lassen.' Die anderen pflichteten ihm bei. Schon wollte der Zauberer erleichtert die Haustür wieder schließen, da schob ihn Enno zurück und trat ein. Dieser Mann schien ihm zu verschlagen, als daß man seinen Worten hätte trauen können. Während die anderen dem Walde zueilten, durchsuchte er das Haus, gefolgt von dem Zauberer, der ihn ohne ein Wort des Widerspruchs gewähren ließ.
Nirgends fand Enno etwas Verdächtiges. Sein Mißtrauen schlief ein. Eben betrachtete er im Arbeitszimmer des Hausherrn Schaukästen mit Pflanzen, Käfern und Schmetterlingen. 'Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler', erklärte der Hausherr gefällig, und lebe nur meiner Wissenschaft. Menschen können mich nicht mehr fesseln.' Enno betrachtete dies und das in den Sammlungen, da merkte er plötzlich, daß er allein war. Schnell war sein Verdacht wieder rege. Er suchte seinen Begleiter im ganzen Haus und kam schließlich auch an die Kellertreppe. Hier hatte der Zauberer inzwischen Zeit zu einer schnellen Arbeit gefunden. Er hatte zwei Stützbalken herausgezogen. die das vielfach eingesägte Traggerüst der Stufen sicherten, und beiseitegelegt. Hinter der Tür in einer Nische verborgen lauerte er auf das Kommende. Enno hatte kaum einige Schritte abwärts gemacht, als mit splitterndem Krachen die Treppe unter ihm zusammenbrach. Er stürzte mit ihren Trümmern dreimal mannshoch hinab. Oben wurde die Tür zugeschlagen und mit Gerümpel verstellt. 'Der ist versorgt'. grinste der Zauberer. 'Wahrscheinlich hat er das Genick gebrochen. Später, wenn ich vor den anderen sicher bin, muß ich mich noch genauer überzeugen. Dann hole ich mir die Kleine aus ihrem Loch, meinen neuesten Schmetterling. Ha! Das wird wieder eine Nacht!'
Enno hatte einige Zeit betäubt gelegen. Allmählich kam er wieder zu sich und richtete sich ächzend auf. Er konnte stehen und frei die Arme bewegen. Er stand in völliger Finsternis. Unschlüssig tastete er im Keller umher, um vielleicht irgendwo eine Waffe zu finden. Plötzlich stieß er an das Gerümpel, das der Zauberer über die Falltür gehäuft hatte, und stürzte zu Boden. Als er sich wieder aufrichten wollte, griff seine Hand durch eine dünne Sandschicht hindurch ein Gewebe und zugleich hörte er aus der Tiefe Klopfen und Hilferufe. 'Eva Maria!' schoß es ihm durch den Kopf. Er fand den Rand der Matte und zog sie fort. Schließlich fand er beim Umhertasten den versenkten Riegel der Falltür, schob ihn zurück und riß die Tür auf. Er legte sich auf den Boden, streckte die Arme durch die Türöffnung hinab und half dem Mädchen herauf. Sie sahen nichts voneinander, aber jeder von ihnen erkannte des anderen innerstes Wesen besser als jemals im Licht.
Da öffnete sich oben leise die Kellertür. Den Zauberer hatte seine Gier nicht mehr warten lassen. Vorsichtig ließ er eine Leiter herab und rüttelte daran, bis sie zwischen dem Trümmerwerk der zusammengestürzten Kellertreppe festen Halt auf dem Boden gefunden hatte. Eine Lampe in der einen Hand, ein Beil in der anderen stieg er Sprosse um Sprosse herab. Eva Maria unterdrückte gerade noch einen Aufschrei. Enno machte sich los von ihr und kam mit unhörbaren Schritten heran.
Auf der siebenten Leitersprosse machte der Zauberer halt und leuchtete den Boden unter ihm ab. 'Wo hat es ihn denn hingeschleudert?' murmelte er. Da trat Enno in den Lichtkreis der Lampe und nach einem Augenblick des Zögerns stellte sich Eva Maria neben ihn. Der Zauberer schlug mit dem Rücken gegen die Leiter, als habe ihn ein Hammer getroffen. Im nächsten Augenblick wollte er sich wenden, um nach oben zu flüchten. Aber Beutegier und Rachedurst, die angesichts seines Opfers und des Befreiers überwältigend in ihm hochschlugen, hielten ihn erbarmungslos fest. Schon wollte Enno vorspringen, um seinen Todfeind von der Leiter zu schleudern, da löste sich aus dem reglos verharrenden Leibe des Zauberers eine verzerrte, schillernd in sich brauende Haßgestalt und fiel Enno an. Unsagbares Todesgrauen schnürte ihm das Herz zusammen. Er meinte, in würgenden Krakenarmen zu ersticken. Plötzlich leuchtete es in seinem innersten Wesen wie Sternenfeuer auf. Die würgende Haßgestalt zerrann wie Schaum. Der reglos erstarrte Leib des Zauberers auf der Leiter knickte ein. Das Beil und die Lampe fielen aus seinen Händen. Mit dumpfem Prall schlug der Körper in die Balkentrümmer. Brennendes Öl aus der zersplitterten Lampe breitete sich zwischen den Brettern und Balken aus. Schon schlugen da und dort Flammen hoch.
Enno schüttelte den Bann der Ereignisse von sich. Er drängte Eva Maria zur Leiter und kam ihr nach, den verrenkten Leib des Zauberers mit sich nach oben schleppend. Im Gang des Erdgeschosses ließ er ihn zu Boden gleiten. Er sah, daß das Leben in ihm erloschen war. Verrenkt hing der Kopf in den Halswirbeln. Die Augen starrten gebrochen, aus den klaffenden Lippen rann ein dünner Blutstreifen.
Mit einem dumpfen Flappen stand der Kellereingang in Flammen. Überall im Erdgeschoß begann es zu knistern und zu prasseln. Enno ließ die Leiche liegen und kam Eva Maria nach ins Freie. 'Mag das alles miteinander verbrennen' sagte er zu sich selbst, 'jede Hilfe käme ohnehin zu spät.'
Enno und Eva Maria schritten Hand in Hand, ohne sich noch einmal umzusehen, die Hügel hinab. Wolken und Nebel hatte das Sonnenfeuermeer eines strahlenden Mittags aufgesogen. Blaugolden lächelte der Tag.